Magische Momente in Kölner Sauna

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Am 26. Mai 2010 jährt sich ein Ereignis zum fünften Mal, das zu den ganz großen in der langen Geschichte des Gießener Basketball-Bundesligateams gehört. Die Erinnerung an den 78:69-Sieg der GIESSEN 46ers im alles entscheidenden fünften Playoff-Viertelfinalspiel der Saison 2004/2005 beim als Favoriten in die „Best of five“-Serie gestarteten Team von RheinEnergie Köln ruft bei mittelhessischen Basketballanhängern, die an jenem Tag live im mit 3.100 Besuchern vollbesetzten Kölner Energy Dome dabei waren, noch heute eine Gänsehaut hervor. Ein Spiel, das in der Aufzählung der „Magic Moments“ des heimischen Traditionsklubs natürlich nicht fehlen darf.

Mit allzu großen Erwartungen waren die 46ers-Fans nicht in die Spielzeit 2004/2005 gegangen. In der Saison zuvor war ihr Team auf einem von zwei Abstiegsplätzen gelandet. Nur weil dem Mitteldeutschen BC nachträglich die BBL-Lizenz für die Saison 2003/2004 aberkannt wurde, entgingen die 46ers dem Abstieg in die Zweite Liga. Der neue Cheftrainer Stefan Koch krempelte das Team fast vollständig um (nur Hartenstein, Terdenge und Gunnarsson blieben), vertraute auf der Aufbauposition auf zwei 20 Jahre junge Spieler namens Anton Gavel und Heiko Schaffartzik, verpflichtete mit Louis Campbell einen Shooting Guard vom Zweitligisten Paderborn und holte mit Charles Patrick Eidson einen US-Amerikaner an die Lahn, der eine Saison davor im NBA-Unterhaus NBDL nicht unbedingt mit Nachdruck auf sich aufmerksam gemacht hatte. Nicht wenige so genannte Experten prophezeiten vor dem Saisonstart, dass sich die 46ers erneut auf einen schwierigen Kampf um den Klassenerhalt vorbereiten müssten.

Doch alles kam ganz anders. Angeführt von „Chuck“ Eidson, der mit seinen Allrounderqualitäten, seinem unbändigen Willen und seiner Fähigkeit, das Spiel lesen zu können, von unbeschreiblichem Wert für die Mannschaft war, spielte Gießen eine klasse Saison. Nach Beendigung der Hauptrunde hatten die Weiß-Roten mit einer Bilanz von 18 Siegen und 12 Niederlagen den sechsten Platz inne und sich damit für die Playoffs qualifiziert. Gegner im Playoff-Viertelfinale war der von Armin Andres trainierte Hauptrundendritte RheinEnergie Köln, der wenige Tage vor Beginn der Meisterschaftsendrunde in souveränder Manier den Deutschen Basketball-Pokal gewonnen hatte und in jener Saison bis dahin auf eigenem Parkett von deutschen Teams noch nicht geschlagen worden war.

Während das Kölner Team um Welt- und Europameister Sasa Obradovic, Ex-NBA-Akteur William „Dollar-Bill“ Edwards, Immanuel McElroy, Marko Pesic, Elvir Ovcina und den heutigen NBA-Center Marcin Gortat insgeheim schon in Richtung Halbfinale schielte, rechnete sich die Gießener Truppe durchaus etwas aus, immerhin hatte man die Domstädter in der Hauptrunde in der Sporthalle Gießen-Ost in die Schranken weisen können. In Basketball-Deutschland glaubte trotz der guten Gießener Saison aber kaum jemand an ein Weiterkommen des Fast-Absteigers aus dem Vorjahr. Doch wieder wurden die Experten eines Besseren belehrt.

Die Serie entwickelte sich zu einem packenden Thriller: Köln und Gießen gewannen jeweils ihre ersten beiden Heimspiele, wobei die 46ers im vierten Spiel erstmals in der Serie einen klaren Sieg (92:74) einfuhren. Auch ohne ihren Power Forward Justin Phoenix, der in Spiel drei einen Innenbandabriss im Knie erlitten hatte und für den Rest der Playoffs ausfiel. Chuck Eidson dominierte erneut mit 30 Punkten.

Auch Gerrit Terdenge machte ein Super-Spiel, kam auf 17 Punkte und neun Rebounds. Unvergessen sein Rückwärts-Dunking zu Beginn der zweiten Hälfte, nachdem er Bill Edwards mit einem Spin-Move am Zonenrand stehen gelassen hatte.

Die Basketball-Euphorie in der Lahnstadt war spätestens nach dieser Begegnung so groß wie lange nicht mehr. Keine Stunde nach der Schluss-Sirene von Spiel vier waren bereits elf (!) Fanbusse für das alles entscheidende fünfte Spiel voll. Rund 1.200 Fans begleiteten ihr Team schließlich zum „Showdown“ nach Köln, sorgten in der „Sauna“ Energy Dome (draußen waren es fast 30 Grad, die Innentemperaturen jedoch lagen bei gefühlten 50 Grad Celsius) für Heimspielatmosphäre und mit den fast ohrenbetäubend lauten „Hier-regiert-der-M-T-V“-Sprechchören schon vor dem Spiel dafür, dass Assistenztrainer Thorsten Leibenath beim Betreten der Halle Tränen in die Augen schossen.

Im Spiel selbst verwirklichte sich dann das, was Stefan Koch und Thorsten Leibenath bei der Besprechung vor der Partie auf einem Flipchart lasen, als sie den Raum betraten: „Heute werden die GIESSEN 46ers den Kölnern eine ordentliche Po-Füllung verpassen“, war dort laut Koch von einem seiner Schützlinge zu Papier gebracht worden. Vom Start weg nahmen Eidson und Kollegen das Geschehen in die Hand, führten schnell mit 13:5. Sasa Obradovic, der in den ersten drei Begegnungen der Serie großartig aufgespielt hatte, wurde wie schon im vierten Spiel von Anton Gavel an die Kette gelegt, Center Souleymane Wane entnervte die Kölner mit sechs „Not in my house“-Blocks.

Und im Angriff sorgte – natürlich – „Chuck“ Eidson dafür, dass die Stimmung bei den Gießener Fans von Minute zu Minute noch besser wurde. Der seinerzeit 24-Jährige legte eine unvergessliche, NBA-reife Vorstellung aufs Parkett, kam am Ende auf unglaubliche 40 Punkte; so viele Zähler waren zuvor noch von keinem Spieler einer Gießener Mannschaft in einer Playoff-Partie erzielt worden. Letztlich waren aber auch der Siegeswillen jedes Einzelnen und der große mannschaftliche Zusammenhalt entscheidende Faktoren dafür, dass das Gießener Basketball-Märchen trotz des späteren Ausscheidens im Halbfinale gegen Bamberg ein glückliches Ende hatte.

„Die Kölner hatten rote Socken, die sie sich hochgezogen haben, wir hatten Teamspirit“, sagt Stefan Koch vielsagend über seine damalige Mannschaft in dem vom LTi 46ers-Top-Partner media tools erstelltenDokumentarfilm FÜNF (5), an dessen Ende natürlich nicht fehlen darf, wie nach der Schluss-Sirene hunderte Gießener Fans das Feld stürmen und dort gemeinsam mit ihren Lieblingen ausgelassen den großen Triumph feiern.

Text: Thorsten Alver

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