Ernie Butler – der Außergewöhnliche

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Manche Menschen ziehen ihr Gegenüber durch die Stimme in den Bann, andere durch die Augen, dritte wegen der Lebensklugheit ihrer Aussagen. Auf Ernest „Ernie“ Butler trifft alles zu. Er ist außergewöhnlich. Seine Stimme klingt nach Louis „Satchmo“ Armstrong, die Augen blitzen voller Schalk aus dem Gesicht. Und was der mittlerweile 71-jährige Schütze des goldenen Korbes zur 1965er Meisterschaft zu erzählen hat, verdient nicht selten das Prädikat „Weisheit“. Ernest „Ernie“ Butler, der US-Basketballer, der aus dem talentierten, aber Meisterschafts untauglichen Männerturnverein von 1846 Gießen vor ziemlich genau vierzig Jahren eine deutsche Spitzenmannschaft machte, hat gelebt, hat vor allem Basketball gelebt. In seiner Heimat Indiana war „Bball“ viel mehr als ein Ball, zwei Körbe und zehn Spieler. „Basketball war Religion“ erinnert sich Butler, dass sein Sport den Tag, das Denken, die Schlagzeilen machte.

Es muss für den knapp 30-Jährigen, der in seiner Heimat Spieler von gleichzeitig drei Mannschaften war („Ich hatte jeden Tag ein Spiel, manchmal sogar zwei oder ich spielte in einer Halbzeit für eine, in der nächsten für eine andere Mannschaft“) ein wirklicher Kulturschock gewesen sein, als er 1962 in Gießen strandete: „Ich war Lehrer, wollte nach Berlin oder München. In Frankfurt auf dem Flughafen haben sie mir dann gesagt, dass ich nach Gießen komme. Davon hatte ich noch nie gehört!“ Der erste Eindruck Butlers von der Universitätsstadt an der Lahn war dann erwartungsgemäß. Hier bleibst du kein Jahr, dachte sich der Junglehrer, musste aber sofort innerlich einlenken. Denn ein Abbruch der pädagogischen Mission vor Ablauf der vertraglichen Mindestzeit von 24 Monaten hätte bedeutet, dass Butler den Heimflug aus eigener Tasche hätte bezahlen müssen. So arrangierte sich der Gestrandete mit den Lebensumständen, tobte täglich mit dem Basketball durch die Millerhall und ertränkte abends hin und wieder sein Heimweh in einschlägigen Kneipen.

An dem Abend, als sich das Schicksal des Gießener Basketballs änderte und der MTV von einem Talentschuppen zum späteren Meister wurde, „war ich besoffen und schlief in der Casanova Bar“ (Butler). Im Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und alkoholischem Wahn registrierte er aber noch, dass ein paar lange Kerls die Bar bevölkerten. Am nächsten Tag erinnerte sich der ausgenüchterte Butler an die Truppe, fragte beim Barkeeper nach, der ihm erzählte, dass das die Jungs des MTV 1846 Gießen gewesen seien, die immer dienstags in der Pestalozzi-Schule trainierten. Im Taxi machte sich Ernest Butler dann auf zu seinem ersten Training mit deutschen Korbballern: „Ich war schüchtern, wusste nicht, ob ich willkommen war.“ Aber Bernd Röder („Bernd war schon immer ein ganz ruhiger Mensch“) und die anderen zeigten sich gastfreundlich, und von diesem Abend an gehörte Butler dazu.

Es galt allerdings, sich umzugewöhnen. „In Indiana war Basketball wie eine Religion. Wir trainierten jeden Tag. Und der MTV nur zweimal die Woche!“ Aber das Spielverständnis und vor allem die „feine Schusshand“ von Jungnickel (Butler: „Ich hatte schnell den Slogan gefunden, Spiel eine gute Verteidigung und gib Dschang den Ball in der Offensive“) beeindruckten ihn ebenso wie die Kameradschaft und die Geselligkeit der 46er: „Die gingen nach jedem Training einen Schoppen trinken. Das kannte ich nicht – gefiel mir aber gut.“ Außerdem stellte Butler schnell fest, dass Jungnickel, Röder und Kollegen das Spiel durchaus verstanden. Zwar ging es auf dem Spielfeld offenbar ein bisschen weniger strukturiert zu als in der amerikanischen Heimat („Da hatten wir schon Spezialverteidigungen mit box and one und suchten matchups. In Gießen gab es das noch nicht“), aber der MTV 1846 Gießen besaß seinen Eindrücken zufolge eine „gute Mannschaft“ und mit Pit Nennstiel „einen guten Trainer“.

Mit Ernie Butler gelang der Aufstieg in die höchste deutsche Spielklasse. 1964 schickten sich die Männerturner um Ernie Butler bereits an, um das Meisterschild zu spielen. Und als dann noch Holger Geschwindner („Holger war super, aber uncoachable“) und Pollo Urmitzer zum MTV stießen, gab es kein Halten mehr. In dem unvergessenen Endspiel gegen den VfL Osnabrück verwandelte Ernie Butler nach langem Pass von Geschwindner („Ich weiß nicht, warum er mich anspielte. Ich habe an diesem Tag nicht besonders gut gespielt oder getroffen“) unmittelbar vor der Schlusssirene zum 69:68 und sicherte Gießen damit den ersten deutschen Meistertitel.

Unmittelbar nach dem größten Erfolg wechselte Butler zu Bayern München. Mit Holger Geschwindner, dem Mentor von Dirk Nowitzki, verbindet ihn bis heute eine innige Freundschaft. Und die gleiche Basketball-Philosophie. Basketball ist Jazz, sagt Geschwindner und Butler hilft ihm bei der Umsetzung, indem er schon mal im Trainingslager von Geschwindner für Nowitzki und die jungen Wilden zum Aufwärmprogramm das Saxophon bläst.

Wie im April des Jahres 2005, als er zur Wiedersehensfeier anlässlich des 40. Jahrestages der 1. Deutschen Meisterschaft des MTV 1846 das Saxophon mitbrachte und beim Sonntagsfrühschoppen einen aufblies. Spätestens da, als er auch noch mit seiner Musik verzauberte, wurde klar, dass Ernest „Ernie“ Butler wirklich ein außergewöhnlicher Mensch und ein echter Glücksfall für den Gießener Basketball war und ist.

Text: Wolfgang Lehmann

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