In der ersten Halbzeit konnten die 3.226 Zuschauer in der Sporthalle Gießen-Ost noch jubeln. Jeril Taylor (14 Punkte), kurzfristiger Ersatz von den GIESSEN 46ers Rackelos, dem ProB-Team des Bundesligisten, schien gemeinsam mit Dee Davis (18) die lange Verletztenliste des Traditionsvereins vergessen machen zu können. Erst in der zweiten Halbzeit schaffte es der tiefe Kader von ratiopharm ulm, das Spiel an sich zu reißen. Da’Sean Butler (21 Punkte, 14 Rebounds) und Ismet Akpinar (19 Punkte) stehen symbolisch für eine Ulmer Mannschaft, die sich mächtig strecken musste, um die motivierten und stark eingestellten 46ers heute zu schlagen.
Mit dem Weggang von Marco Völler nach Frankfurt sowie drei Spielern auf der Verletztenliste standen die Vorzeichen vor dem Heimspiel gegen den Tabellennachbarn aus Ulm (Platz 10) nicht rosig. Doch obwohl Max Landis, Jamar Abrams und Austin Hollins nur zuschauen konnten, klammerte man sich, mit gleich fünf Spielern der Gießener ProB-Mannschaft Rackelos im Kader, gegen den EuropaCup-Teilnehmer, der eine Fünf-Spiele-Siegesserie auszubauen verfolgte, an den eigenen Lauf. Denn bereits vier aufeinanderfolgende Heimspiele konnte das Team von 46ers-Cheftrainer Ingo Freyer zuletzt für sich entscheiden.
46er-Captain John Bryant führte Dee Davis, Benjamin Lischka, den mit einem neuen Vertrag ausgestatteten Jahenns Manigat und „Rackelo“ Jeril Taylor zum Sprungball aufs Parkett. Taylor war es auch, der bereits in seiner allerersten BBL-Minute die ersten 46ers-Zähler einbrachte (2:2, 1.). Nachdem Davis den erneuten Ausgleich besorgte, zeigte Taylor dann seine Qualitäten: Mit einem Dreier, einem krachenden Slam-Dunk und einem Fastbreak-Assist auf Davis brachte er die Mittelhessen mit 11:4 in Front (3.). Auch Davis bestätigte die starke Form der Anfangsphase weiter, während die Truppe um Per Günther noch mit einigen Abstimmungsschwierigkeiten (7 Turnover im ersten Viertel) zu kämpfen hatte (13:5, 5.). Ex-46ers-Coach Thorsten Leibenath war zur ersten Auszeit gezwungen, auf die die Gießener mit einem Layup von Bryant, zwei erzwungenen Ulmer Ballverlusten und einem Distanztreffer von Davis zunächst routiniert antworten konnten (18:5, 7.). Die Gäste fanden jedoch langsam zu ihrem Wurfglück zurück (21:12, 8.). Ein sehenswertes Teamplay zwischen dem eingewechselten Rackelo Nick Hornsby und Mahir Agva schloss letzterer zum 23:14 nach zehn Minuten ab.
Agva war es auch, der im zweiten Viertel die Führung weiter ausbauen konnte – sein Layup nach Assist von Davis hielt noch die zweistellige Punkteführung (26:14, 12.). Gleich zwei Dreier der Ulmer, durch Thompson und Butler, verkürzten dann jedoch innerhalb von nur wenigen Sekunden den Vorsprung spürbar (26:20, 13.). Der Kapitän der 46ers Bryant sorgte mit einem Hookshot und der Vorlage für Lischka nur kurz für etwas Entlastung (30:24), weil die Gäste aus Baden-Württemberg den gegnerischen Korb deutlich agiler und fokussierter attackierten. Die nächste Freyer-Auszeit bescherte dann aber doch wieder mehr Elan: Bryant traf für drei, Taylor und Davis sammelten weiter Punkte von der Freiwurflinie – die 46ers gingen drei Minuten vor der Halbzeit wieder mit 36:26 in Front. Dem nun folgenden Sturmlauf der Gäste setzten sich Agva und Manigat mit weiteren Erfolgen entgegen. Mit einem Halbzeitstand von 41:37 gingen die Lahnstädter unter respektzollendem Applaus in die Kabine.
Die zweite Hälfte begann ausgeglichen mit Punkten auf beiden Seiten; Davis, Bryant und Lischka verwandelten aus kurzer Distanz für ihre Gießener, Butler und die immer stärker werdenden Akpinar und Fotu verwandelten für die Gäste (49:46, 24.). Manigat konnte sich unter dem Korb der Ulmer den Ball nach zwei erfolglosen Würfen von Bryant sichern, netzte den Korbleger ein und bekam sogar den And-One zugesprochen (52:46, 25.). Doch die EuropaCup-Teilnehmer bewiesen abermals, dass sie innerhalb weniger Augenblicke ein Momentum zu drehen wissen und egalisierten den Spielstand auf 52:52 (26.). Völlig aus dem Konzept gekommen, häuften sich die Fehler der 46ers nun. Ulm hingegen blieb in Offensive wie Defensive fokussiert und ging durch den deutschen Nationalspieler Ismet Akpinar in Führung. Die Phase im dritten Viertel drohte zum Verhängnis zu werden, weil Schlüsselspieler Akpinar sein Team nun zu einem 15-Punkte-Lauf führte, bevor Dee Davis per Korbleger zum 54:61 (29.) verwandelte. Weil Ulm abermals die bessere Antwort parat hatte, gingen die GIESSEN 46ers mit einem 54:65-Rückstand ins letzte Viertel.
Die Gießener Flaute im Angriffsspiel schien nun passend zum Schlussakt auf Ulm übergegangen zu sein. Die ersten fünf Punkte im Viertel gehörten den 46ers: Taylor und Manigat schlossen erfolgreich ab (59:65, 33.). Nachdem dann auch Ulm seine Fans wieder jubeln ließ, konnte Lischka beide seiner Freiwürfe verwandeln. Die 46ers um John Bryant verteidigten nun auffällig erfolgreich, immer wieder zwangen sie die Ulmer Angreifer zu Fehlern und hielten sich so die Chance auf einen Coup in der Crunchtime offen. In einer turbulenten Episode des Spiels fünf Minuten vor dem Ende kristallisierte sich dann jedoch Ulm wieder mit klaren Vorteilen heraus (61:69). Für ein Highlight sorgten dann aber nochmal die Mittelhessen: Taylors Steal führte nach Assist von Bryant zu Lischkas Dunking. Bei noch drei Minuten auf der Uhr setzte Da’Sean Butler dann jedoch erneut ein Statement zum 63:74, was zu Freyers nächster Auszeit führte. Davis kam zurück, schloss ein Dreipunktspiel ab, Manigat verwandelte aus der Nahdistanz, Lischka setzte sich hervorragend unterm Brett durch – doch die Ulmer ließen nichts mehr anbrennen. Durch ein fokussiertes Angriffsspiel ließ man die eigenen Schwächen der ersten Halbzeit vergessen und schenkte den stark ersatzgeschwächten GIESSEN 46ers nun deutlich zu. Beim Stand von 70:84 lief die Uhr auf Null und beendete somit eine lange Zeit hervorragend geführtes Spiel der GIESSEN 46ers und zugleich die Siegesserie der Truppe von Ingo Freyer. Für die Mannschaft geht es nächsten Samstag in Braunschweig weiter, bevor am 22.12. im nächsten Heimspiel die Frankfurt Skylines zum Hessenderby an die Lahn reisen.
Ingo Freyer (Cheftrainer GIESSEN 46ers): „Wir haben heute mit sehr viel Risiko gespielt. Taktisch haben wir das so umsetzen können, wie wir es wollten. Am Ende war dann die Qualität von Ulm größer, auch die Bank war länger. Wir konnten aufgrund unserer personellen Situation natürlich nicht so intensiv spielen, wie wir es heute gebraucht hätten. Somit geht der Sieg in Ordnung. Dennoch einen großen Respekt dafür, wie meine Mannschaft gekämpft hat. Das Ergebnis sah am Ende höher aus, als es war. Wir hätten sicherlich am Ende auch gewinnen können, die Kleinigkeiten waren dann ausschlaggebend. Trotzdem: Hut ab vor meiner Mannschaft.“
Thorsten Leibenath (ratiopharm ulm): „Ich bin sehr froh, dass wir hier gewinnen konnten. Ich glaube nicht, dass wir heute unser bestes Spiel gemacht haben. Es ist aber auch sehr schwer, in solch einer Situation gut auszusehen. Bei Gießen gab es heute einige Spieler im Kader, die normalerweise zwei Ligen unter uns spielen, und die wir daher vorher nicht auf dem Schirm hatten. Während wir sie dann zu Beginn unterschätzt haben, waren die Gießener von der ersten Minute an hellwach. Es hat dann eine Zeit gedauert, bis wir uns ins Spiel gearbeitet haben. Dann war es aber genau so, wie ich mir das vorstelle. Besonders Da´Sean Butler ist da zu erwähnen, aber auch Ismet Akpinar und Isaac Fotu sowie Nicolas Bretzel haben sehr gut gespielt.“
GIESSEN 46ers – ratiopharm ulm 70:84 (41:37)
Viertelergebnisse: 23:14, 18:23, 13:28, 16:19
GIESSEN 46ers: Jeril Taylor (14 Punkte, 8 Rebounds), Mahir Agva (6), Dee Davis (18, 4 Assists), Benjamin Lischka (10), Jahenns Manigat (11, 4 Rebounds), Mauricio Marin, Nick Hornsby, John Bryant (11, 11 Rebounds, 4 Assists)
ratiopharm ulm: Ryan Thompson (14, 7 Assists), Per Günther (2), Ismet Akpinar (19), Christoph Philipps, Trey Lewis, Nilcolas Bretzel (6), Da´Sean Butler (21, 14 Rebounds), Jerrelle Benimon (5), Toure Murry (2), Isaac Fotu (15)
Zuschauer: 3.226
Nächstes Spiel: Samstag, 16.12.2017, 18.00 Uhr: Basketball Löwen Braunschweig – GIESSEN 46ers