Wenige Wochen vor dem Saisonstart haben wir ein ausführliches Interview mit GIESSEN 46ers-Geschäftsführer Heiko Schelberg geführt. Im ersten Teil spricht Schelberg über die Vergangenheit, die Business-Seite der 46ers sowie über die neue Gesellschafterstruktur.
Hallo Heiko. Du warst vor wenigen Wochen im Urlaub, hast die USA bereist. Konntest Du die Zeit nutzen, um die Vergangenheit, besonders die vergangene Saison, Revue passieren zu lassen?
„Ja, die zwei Wochen Urlaub haben gut getan. Meine Tour durch die USA war beeindruckend. Wenn du vor dem Grand Canyon stehst, fehlen dir echt die Worte. Las Vegas ist außerdem wirklich die verrückteste Stadt, die ich je gesehen habe. Jeder im Team hat zwei oder drei Wochen für sich genutzt, um mal durchzuatmen. Es ist wichtig, dass man auch mal zur Ruhe kommt und die letzte Saison, aber auch die Zeit davor, für sich, für den Club, für die Sponsoren, für die Zuschauer, für die Fans analysiert. Das habe ich ausgiebig getan. Ich bin sehr entspannt und erholt zurückgekommen, dann ging es aber auch schon mit vollem Tempo weiter. Die Zeit bis zum Saisonstart läuft schließlich unaufhaltsam.“
Doch blicken wir mal 365 Tage und ein paar Monate länger noch zurück. Wie sind Deine Gedanken heute, wenn Du an die Zeit vor Weihnachten 2012 zurückdenkst?
„Das ist eine Zeit, die ich nie vergessen werde. Natürlich gibt es immer wieder kurze Momente, besonders um die Weihnachtszeit, in denen man zurückdenkt. Die Tage waren damals kurz, es war eine brutale Drucksituation. Wer mich kennt, weiß, dass ich gerne für Fehler, die ich verursacht habe, gerade stehe. In dem Fall musste man aber etwas ausbaden, was man gar nicht verbockt hatte. Insgesamt habe ich für mich aber einen Haken dahinter gemacht. Dass es natürlich immer wieder Momente gibt, wo das wieder mal aufbricht, ist klar, schließlich war es schon zeitweise grenzwertig und wurde auch persönlich. Auf der anderen Seite habe ich in dieser Zeit Gießen perfekt kennengelernt. Das hilft mir natürlich jetzt auch weiter. Wenn man dann aber aus einer solchen tiefen Krise rauskommt, dann stärkt das einen natürlich menschlich und charakterlich enorm. Ich habe viele neue Erfahrungswerte in dieser Zeit gesammelt. Ob man sie nochmal braucht, das weiß und hoffe ich nicht, aber sie sind zumindest vorhanden.“
Du hast damals viel einstecken müssen, jetzt gibt es häufig Schulterklopfer. Siehst Du das als Genugtuung an?
„Nein, ich kenne das Wort „Genugtuung“ eigentlich überhaupt nicht. Ich bin einfach dankbar und stolz, dass sich meine Arbeit hier mit meinem Team ausgezahlt hat. Dass, wie in meinen vorherigen Stationen, harte Arbeit wirklich belohnt wird. Aber es ist natürlich auch ein schönes Gefühl, dass man unter schwierigsten Bedingungen einen Traditionsklub mit einem suboptimalen finanziellen Background gerettet hat. Mit einem sehr emotionalen Umfeld, das uns natürlich gut zu Gesicht steht, wenn es super läuft. Wir haben aber noch viel Arbeit vor uns. Wir wissen, dass hier eine große Anspruchshaltung herrscht, aber wir sind keine Schönredner. Natürlich ist man stolz, dass man Arbeitsplätze erhalten hat. Natürlich tut es gut, wenn man jetzt von vielen Seiten unheimlich viel Lob für seine Arbeit bekommt. Aber meine Arbeit ist die gleiche geblieben. Ich bin froh, dass wir diese Chance genutzt haben, dass wir uns auf einem guten und vernünftigen Weg befinden. Die Gespräche mit den Sponsoren sind zuletzt übrigens wesentlich einfacher verlaufen. Das sind alles die kleinen, wichtigen Schritte, die uns dahin führen können, wo wir hin wollen. So schwer auch der ganze Schritt im Dezember 2012 gewesen ist, ich glaube, es hat jeden wachgerüttelt. Wir haben die Chance, die sich uns trotzdem dargestellt hat, genutzt. Wir haben wieder eine Vision, wieder einen Plan, wieder ein Ziel. Wir werden bald wieder einen schuldenfreien Klub haben. Manchmal ist es also ganz gut, die Notbremse zu ziehen und nochmal neu anzufangen.“
Die vergangene Saison, in welcher zumindest öffentlich der Fokus wieder auf das Kerngeschäft gelegt werden konnte, hat sicherlich gut getan. Merkt man dies nun auch in den Gesprächen mit Sponsoren und Partnern?
„Absolut. Wir spüren, dass wir uns eine Menge Vertrauen erarbeitet haben und unserer Arbeit entgegen gebracht wird. Ich glaube, unsere realistische Einschätzung, die wir in allen Gesprächen abgeben, die rationale Wahrnehmung des aktuellen Status quo, schafft genau dieses Vertrauen, diese Glaubwürdigkeit. Wir erzählen nichts von Luftschlössern oder bunten Bildern. Wir wissen wo wir stehen, aber auch wo wir hinwollen. Ich glaube, dass unsere Sponsoren, aber natürlich auch unsere Fans, diese Offenheit und Ehrlichkeit sehr schätzen. Die Unterstützung unserer Sponsoren ist fantastisch. Wir haben wieder einen neuen Premium Partner, den wir schon in Kürze vorstellen, gewinnen können und dazu bei fast allen Sponsoren die Erlöse erhöht. In diesem Bereich sind wir auf einem sehr guten Weg, so dass wir unsere Zielvorgaben, die wir uns selber gesteckt haben, auch erreichen können. Ich hoffe, dass sich das Gleiche auch im Ticketing wiederspiegeln wird. Da haben wir natürlich insgesamt sehr wenig Planungssicherheit. Vielen Dank in diesem Zusammenhang auch nochmal an jeden, der uns mit dem Kauf einer Dauerkarte unterstützt hat. Wenn wir auch im Ticketing die Ziele, die wir uns gesteckt haben, erreichen, dann wird das aus wirtschaftlicher Sicht mit Sicherheit eine sehr gute Saison.“
Klingt nach einem weiteren Schritt nach vorne?
„Seitdem ich da bin, haben wir jedes Jahr die Marketingerlöse um 20 Prozent gesteigert. Das ist uns selbst in einer schwierigen Phase nach Erteilung der Wildcard gelungen. Die Phase vor der letztjährigen Saison war nach dem Abstieg natürlich nicht einfach, aber trotzdem haben wir immer unseren Job gemacht, unsere Arbeit geleistet. Natürlich ist es jetzt ein ganz anderes arbeiten. Man hat weitestgehend den Kopf frei, weil man weiß, dass man die finanzielle Situation im Griff hat, dass man wirklich einen enormen Schuldenabbau geleistet hat. Dazu haben wir Sprünge gemacht in der ganzen Spieltagsorganisation und Spieltagabwicklung. Das möchten wir aber noch weiter intensivieren. Wir haben da viele Ideen, die wir nach und nach umsetzen möchten.“
Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die Arbeit des Geschäftsstellenteams?
„Für einen Außenstehenden ist so ein Klub in der Form sicherlich überhaupt nicht greifbar. Aber ganz klar: Ohne das Team auf der Geschäftsstelle, wären wir nicht da wo wir heute sind. Das ist ein Fakt. Wir brauchen uns vor niemandem verstecken, auch nicht in der ersten Liga. Wir müssen aus der Vergangenheit eine Menge aufarbeiten und aufholen, das tun wir aber in einem enormen Tempo. Wir sind erstligareif, im Übrigen auch vom gesamten Umfeld her. Man braucht ja nur in die Vergangenheit zu schauen, um zu verstehen, dass man eben nicht nur in den sportlichen Bereich investieren kann. Wenn ich mir ein Auto kaufe, gibt es zwei Möglichkeiten: Ich mache mir vorher Gedanken über die Finanzierung, oder ich kaufe das Auto und mache mir anschließend Gedanken über die Finanzierung. Wenn ich mir erst anschließend Gedanken über die Finanzierung mache, habe ich mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Problem. Darum machen wir uns im Vorfeld über jegliche Investitionen Gedanken und wägen diese genauestens ab. Die Gelder werden insgesamt mit der Geschäftsstelle verdient. Je professioneller das Team dort aufgestellt ist, je besser können wir Gelder erwirtschaften und umso mehr können wir in alle Bereiche investieren. Wir haben hier ein sehr anspruchsvolles Umfeld. Ob bei der Pressearbeit, eigenen oder externen Events, Fanartikeln, Spieltagsabwicklung, Ticketing und so weiter. Im Übrigen haben unsere Sponsoren, die eine Menge Geld zahlen, ebenso eine hohe Anspruchshaltung. Auch da gilt es alles professionell umzusetzen. Dazu kommt die Spielerbetreuung, Wohnungen, Autos etc. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Spieler wohlfühlen. Dafür brauchen wir Qualität und Manpower auf der Geschäftsstelle. Auch wir haben häufig eine Sechstagewoche. Das tun wir gerne, aber das zeigt auch, dass wir uns vor der Arbeit nicht verstecken, im Gegenteil. Aber nur mit dieser Geschäftsstelle, in dieser Manpower, in dieser Größenordnung, ist das ganze auch umsetzbar. Und nur so können wir auch der Erwartungshaltung und unseren Ansprüchen gerecht werden. Wir haben jetzt noch einige intensive Arbeitstage Zeit bis zum ersten Heimspiel gegen Hamburg. Die Zeit wollen wir nutzen, um alles optimal vorzubereiten.“
Im Januar wurde verkündet, dass in Zukunft die 46ers GmbH & Co. KG die GIESSEN 46ers übernehmen wird. Wie stellt sich die Zusammenarbeit mit den Gesellschaftern bislang dar?
„Wir sind froh, dass wir jetzt 21 Gesellschafter an unserer Seite haben. Dass wir die ambitionierten Projekte, denen wir uns stellen werden, gemeinsam abarbeiten können. Die Gesellschafter helfen uns auch beim Schuldenabbau, sorgen aber nicht für den sportlichen Etat. Ich habe bisher nur überaus konstruktive Gesellschafterversammlungen erlebt, in denen alle im Sinne der GIESSEN 46ers diskutiert und gehandelt haben. Jeder weitere Gesellschafter würde uns gut tun, nicht nur von der Liquidität, sondern auch von den Erfahrungswerten, die sie oder er mit einbringen kann, her. Das ist natürlich ein ganz wichtiger Baustein für die Zukunft.“
Die Einlage der Gesellschafter geht also nicht in den sportlichen Bereich?
„Nein, dieses Geld wandert nicht in den Spieleretat. Das Geld wird genutzt, um den Schuldenabbau noch schneller voranzutreiben. Das Geld soll aber letztendlich gerade für solche Themenbereiche wie Nachwuchskonzepte oder strukturelle Veränderungen, wie z.B. eine eigene Trainingshalle, genutzt werden. Aber das ist noch zu früh, wir sind da noch in einem Abstimmungsprozess, um zu beschließen, wie wir das Geld sinnvoll einsetzen. Wir sind uns alle einig, dass wir eine Nachhaltigkeit gewährleisten wollen. Es wäre fatal jetzt alles auf eine Karte zu setzen, denn dann sind wir wieder genau da, wo wir nicht hinwollen, dass nämlich alles in den sportlichen Bereich gepumpt wird. Nur, wenn man strukturell, also im administrativen und im sportlichen Bereich gleichzeitig wächst, hat man viel richtig gemacht. Vereine, die sich nur auf den sportlichen Bereich konzentriert haben, sind zumeist gescheitert. Das werden wir tunlichst vermeiden. Es muss jetzt alles sukzessiv miteinander zusammenwachsen und „groß“ werden. Wie gesagt, das Geld der Gesellschafter wird mit Sicherheit sinnvoll eingesetzt werden.“